Kapitel 13. Das SchüLehr:innenklassenzimmer -
Geschichten zur Vorbereitung.
Ich komme zu meinem zentralen und letzten Kapitel im Buch. Es geht um die Zukunft der Bildung. Es geht um meinen immer wieder auftauchenden Begriff von der SchüLehr:innenschule. Meine Expertise bezieht sich auf das Gymnasium … ich bin allerdings der Überzeugung, dass man sie auch für andere Schularten als Idee aufnehmen kann, um sie an die eigenen Schulsituation anzupassen.
Wir gehen wieder zurück zu deinem eigenen Klassenzimmer, denn darum geht es mir in diesem Buch. Nicht um Außerunterrichtliches. Aber durch meine außerunterrichtlichen Geschichten kann ich erklären, um was es mir bei der SchüLehr:innenschule geht. Sie selbst habe ich ja nie erleben dürfen. Das wäre dein eigenes Neuland. Was ich hier am Ende schreibe ist also eine wundervolle Idee auf dem Fundament eines Effectariums. Komplette Schulen haben es schon gezeigt, dass SchüLehr:innenschule möglich ist. Wutöschingen zum Beispiel. Aber vielleicht kannst du ja beweisen, dass man sein eigenes kleines Wutöschingen auch innerhalb alten Gemäuern zaubern kann - und sich deine Pädagogik auf diese Art in die alten Gemäuer hineinfrisst.
Aus meinen Erfahrungen mit Schülerschule 1 und 2 weiß ich: Schüler:innen im Lambda-Lebensraum einer Schule sind z.T. exzellente Lehrpersonen. Außerunterrichtlich wie im Flügelverleih, aber auch innerhalb einer Klasse.
Die SchüLehr:innenschule würde ich hier gerne umbenennen in das SchüLehr:innenklassenzimmer. Das SchüLehr:innenklassenzimmer auf der Basis eines Effectariums - ein Lebensraum der besonderen Art.
Der Begriff SchüLehr:innenschule kommt weiterenwickelt aus dem Jahre 2000. Wir hatten als Vertrauenslehrerteam eine Vielzahl von Schüler-Teams betreut, deren eigentliche Leitung von den Schüler:innen selbst übernommen wurden. Wir hatten dafür die Beratung und Verantwortung nach außen übernommen.
Was für eine Bereicherung. Was für eine Wohltat.
Unsere hochaktiven Schüler:innen aus allen Klassenstufen waren wie ein junges Kollegium, mit dem wir eine aktive Schule in der Schule aufbauen konnten - fernab vom Unterricht und man konnte die Power förmlich spüren, die in diesen jungen Menschen schon in der Schule steckte.
Und welche unglaublichen Fähigkeiten, die man im Unterricht nie entdecken konnte. Es war ein Effectarium im Großen. Eine eigene Schule in der Schule.
Eine Schülerschule, so nannten wir sie, als wir einen Titel benötigten. Wir hatten gerade unser Tonstudio samt Proberaum fertiggestellt, selbst finanziert durch die Produktion einer Schul-CD - damals war das noch etwas sehr Besonderes - unsere schulische Musikszene glänzte auf ihrem Höhepunkt mit 17 Schülerbands aus allen Klassenstufen und wir hatten gerade mit unserem Teamkonzept den Goldenen Floh gewonnen.
Da flatterte die Aufforderung von unserem Kultusministerium ins Haus, dass man sich als Schule mit einem besonderen pädagogischen Projekt bewerben könne, um in Hannover im Jahre 2000 bei der Weltausstellung EXPO2000 als dezentrales offizielles Projekt anerkannt zu werden. Na ja, wir hatten unseren Goldenen Floh mit 1500 DM Preisgeld für unsere Teamkasse gefeiert und die verrückte Idee stand plötzlich im Raum: Kommt, wir bewerben uns für die Weltausstellung, wir haben doch die Unterlagen von der Bewerbung zum Goldenen Floh.
Ich mache es kurz - was eigentlich ein scherzhaftes Spiel war, wurde Realität. Während Freiburg als Stadt mit vielen großen Projekten noch dreimal nachreichen musste, um in Hannover antreten zu können, wurden wie sofort genommen und nachdem die Organisatoren es abgelehnt hatten, unter den Fittichen von Freiburg teilzunehmen, wurden wir eben am Ende eigenständiges offizielles dezentrales EXPO2000 Projekt.
Wir waren zwei Vertrauenslehrer, eine Vertrauenslehrerin und knapp 80 aktive Schüler:innen aus diversen eigenständigen Teams. Wir nannten das Konzept Schülerschule.
Verstanden, warum uns eine hochrangige internationale Jury aus Politiker:innen, Firmenchef:innen, Hochschulprofessor:innen und anderen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ausgesucht und als kleines Projekt eigenständig in die Reihen der offiziellen dezentralen EXPO2000 Projekte aufnehmen wollten, habe ich es erst, als mir in Hannover auf einer Veranstaltung ein Verantwortlicher die Erklärung gab: „Die Jury war sich einig. Solche Möglichkeiten hätten wir selbst auch gerne gehabt. Und wir hätten sie auch gerne für unsere Kinder.“
Was für uns in unserer Schülerschule in der Schule normal geworden war - mit den Aktiven einer Schule Schule zu gestalten, war die komplette Ausnahme. Ich denke, sie ist es noch heute. Wen Einzelheiten interessieren, der kann es hier vertiefen.
Ich wurde nach der EXPO2000 von der Direktor:innenausbildung von Baselland angefragt, ob ich nicht einen Fortbildungstag an unserer Schülerschule ins Leben rufen könnte … Fast 10 Jahre lang reisten einmal im Jahr frischgebackene Schweizer Schuldirektor:innen an unser Gymnasium, um sich von unseren Aktiven ihre Arbeit erklären zu lassen. Dafür hatte ich „Das pädagogische Schweizermesser als Skript geschrieben. Ich schreibe diese Geschichte hier auf, weil ich die Entwicklung zum SchüLehr:innenklassenzimmer beschreiben will.
Das enorm erfolgreiche außerunterrichtliche Konzept der eigenständigen aktiven Schüler:innenteams war für mich Stufe eins der Grundidee. Lass Schüler:innen schon an der Schule groß werden. Das nützt den Schüler:innen und der Schule. Anfangs hatten die Eltern unserer Aktiven noch Angst, ihre Kinder würden durch Aktivität außerhalb des Unterrichts zu sehr vom Lernen abgehalten. Als wir nach ein paar Jahren zeigen konnten, dass unsere Aktiven immer die besseren Abitursschnitte hatten, legte sich diese Angst.
Schülerschule 2.0 durfte ich erleben, als wir als Gymnasium eine Hausaufgabenbetreuung anbieten mussten und unsere Betreuer:innen aus unserer aktiven Schülerschaft rekrutierten.
Bezahlt durch das Jugendbegleiterprogramm. 5 € die Stunde. Wie hatten ein Schülerkollegium von 80 Kolleg:innen und konnten loslegen. Schülerschule 2.0 war für mich ein Hochgenuss. Undimmerhin schon nahe am Unterricht. Nur noch nicht im Unterricht.
Das wäre dann Schülerschule 3.0, die ich gerne SchüLehr:innenschule nenne, weil ich aus der Schülerschule 2.0 weiß, was Schüler:innen ab Klasse 8 als Lehrpersonen leisten können. Wir nannten diese kleine, aber feine Nachmittagsschule Flügelverleih.
So ich schraube wieder völlig zurück, denn ich will nicht für eine Schülerschule 1.0 werben und auch unser Flügelverleih würde heute nicht mehr so umgesetzt werden können wie in unseren Anfangsjahren. Schülerschule 1.0 wäre aufgrund der immer heftigeren Sicherheitsbestimmungen an Schulen unmöglich.
Unser Tonstudio und der Proberaum war in der Schule - ein alter Fahrradkeller, von uns selbst ausgebaut und bezahlt - und die Bands und die aktiven Schüler:innen hatten ihre eigenen Schlüssel.
Und im Flügelverleih bekamen wir betreuenden Lehrpersonen für 2 Stunden am Nachmittag auch 2 volle Deputatsstunden angerechnet. Unsere Lehrer-Besetzung waren zwei Kolleg:innen und unsere Sozialarbeiterin. So konnten wir unsere 10 Schüler-Coachs für unsere Unterstufe gut betreuen. Wir Lehrpersonen waren die Coachs der Coachs. Eine komfortable Situation und wir haben viel daraus gemacht.
Fazit: In unseren EXPO2000 Aussagen stand als Grundkonzept:
„Begreife die Fähigkeiten aktiver Schüler:innen als Chance für eine lebendige Schule. Integriere die speziellen Interessen aktiver Jugendlicher, um den Lebensraum Schule zu optimieren.
Erkenne die Profis der Zukunft, die schon in der Schule ihre Qualitäten preisgeben, so man sie lässt.“
Das unterschreibe ich noch heute. Für dein Effectarium heißt das: Bau dein Klassenzimmer zusammen mit den aktiven Schüler:innen um - und gewinne für diesen Prozess auch die weniger aktiven.
Aktive Schüler:innen können wunderbar SchüLehr:innen sein.
Dabei immer auf Lambda achten.