Effectarium 7 - Lambda meets Hattie

7. Bis zum ersten aktiven Projekt - Hattie und Lambda

 

Mag sein, dass du ganz viel Lambda-Feeling mit in die Schule bringst. Dann geht es vielleicht auch wirklich ganz schnell. Aber bitte: Kapitel 5 und 6 - im Normalfall brauchst du dafür ganz viel Zeit, die du dir auch gönnen musst. Manchmal Jahre - kein Problem. Denn: OLE de-implementiert vollautomatisch. (Letztes Kapitel) Deshalb: Auch wenn du gar nichts anderes vorhast als nur zu De-Implementieren: Lass OLE einfach mal wirken. Wenn du das Hattie-Interview gehört hast, dann weißt du, auf was es ankommt, wenn du mit neuen Ideen losstarten willst: Du musst das Gefühl haben, dass du ohne schlechtes Gewissen entspannter Schule machen kannst, weil du erstens nicht mehr alles streng nach Plan machst. Und zweitens deine Schüler:innen Stück für Stück mit ins Boot holst und ihnen Verantwortung übergibst. Verzweifle nicht, sieh es entspannt. Ich schreibe das hier vom Schreibtisch aus. 10 Jahre nach meiner Pensionierung. Ich weiß, dass dein Beruf ziemlich herausfordernd ist, weil die Welt nicht stehen bleibt. Aber genau deshalb ist der behutsam eingeschlagene Weg in deine Effectariums-Schulwelt so wichtig. Vielleicht nimmst du dir einmal nur eine einzelne Klasse heraus, in der du ausprobierst. Oder einen Oberstufenkurs kurz vor dem Abitur. Ich habe fast zwei Jahrzehnte gebraucht, bis ich mir mein eigenes Selbstbewusstsein zusammengebaut hatte. In unserer kleinen Schule in der Schule. Es gab damals noch keine Hattie-Studie, mit der ich mir hätte beweisen können, dass ich richtig liege. Die Lambda-Ebene war zwangsläufig Teil meiner Vertrauenslehrer-DNA geworden. Deshalb war mir damals nicht wirklich klar, dass meine eigentlichen „Erfolge“ umgeben von einer Art Mythos schlicht von der Lambda-Ebene kamen. Heute weiß ich: Lambda heißen die Top-Faktoren von Hattie. Irgendwie alle.

 

Nehmen wir mal die ersten 10 Aussagen von 2019 von über 300 Faktoren aus über 1600 Metastudien. Nachzulesen unter https://www.kas.de/de/einzeltitel/-/content/visible-learning-2020

Beurteilung des Peer-Leistungsniveaus 1,85 - wenn man diesen Faktor ausspielen will, muss man transparenten Unterricht machen. Wenn ich als Schüler:in wissen soll, wo ich innerhalb meiner Klasse stehe, muss das Klassenkljma stimmen. Muss klar sein, dass Noten nicht der Schlüssel zu Glück sind. Dass jeder einen Joker im Ärmel stecken hat.

Kollektive Wirksamkeitserwartung 1,43 - Für mich der ganz große Joker im Spiel. Ein „Vorne auf der Welle“ für die gesamte Klasse. Für die Peer. Für die Lehrperson. Ohne Lambda-Feeling geht das nicht. Wer seinen Schüler:innen einmal wirklich gut vermitteln konnte, dass nicht die Noten das Wesentliche sind, sondern die nachhaltige Fachkompetenz, der kann anfangen, an nachhaltigen Konzepten zu basteln anstatt von Klassenarbeit zu Klassenarbeit kurzfristige Strategien zu fahren, um dem Lehrplan gerecht zu werden.

Einschätzung des Leistungsniveaus durch die Lehrperson 1,42 - Klar oder? Lambda pur. Ohne eine sichere Beziehungsebene mit klaren offenen Strukturen und einem gemeinsamen Ziel kann man als Lehrperson das Leistungsniveau nur über die Noten einschätzen. Zu wenig, wenn man nachhaltig entwickeln will. Alle müssen wissen, wo alle stehen.

Zusammenhang Lesen-Rechnen  1,37 - Nix mit Lambda zu tun? Irgendwie trotzdem. Ich war Physiklehrer und kenne das Problem. Wer nicht völlig mühelos textverstehend lesen kann, der hat seine Probleme, ohne dass es meist direkt zur Sprache kommt. In einer „Lambda-zertifizierten“ Klasse sind solche Klassengespräche über mühsames Lesen aber kein Problem. Wenn man nicht mehr rein notenfokussiert arbeitet, sind neue Lernstrategien leichter einzubringen. Schon allein, wenn jemand um seine Leseprobleme Bescheid weiß, kann er leichter seine Strategien ändern, wenn es um Aufgabentexte verstehen geht.

Erkenntnisstufen 1,28 - Wir Menschen entwickeln uns unterschiedlich schnell und das ist normal so. Wäre ja auch komisch, oder? Komisch ist dagegen, dass Klassenarbeiten, die für alle Schüler:innen gleichzeitig geschrieben werden, das Normale sind und zwar weltweit. In unserem „normalen“ Schulsystem können wir diesem Komischen nicht entfliehen. Aber wir können unseren Schüler:innen klar machen, dass eine ausreichend in Mathe entweder heißt, dass man zu wenig gelernt hat oder dass deren mathematisches Denken einfach mehr Zeit braucht. Wie oft habe ich von Erwachsenen den Satz gehört: „Oh je, ich war in Mathe immer schlecht.“ Dabei kann das niemand wirklich so sagen. „Oh je, ich habe in Mathe immer schlechte Noten geschrieben.“ Ja das kann natürlich sein. Man hat zu wenig gearbeitet oder sich langsamer entwickelt als die anderen. Man muss Noten als Wegweiser sehen können. Nicht als Stigma. Das muss die ganze Klasse in der DNA haben, dann sieht die Schule anders aus. Effectarium in alten Gemäuern. Lambda-Ebene eben.

Beurteilung des eigenen Leistungsniveaus 1,26 - Wenn ich weiß, wo ich innerhalb meiner Peer-Group stehe, dann weiß ich auch, wo ich selbst stehe. Habe ich Lücken, hänge ich hinterher oder bin ich vorne im Pulk? Keine Konkurrenz, besser mit Lambda. Wegweiser, um den richtigen Weg zu gehen. 

Reaktion auf Intervention 1,26 - Übersetzt: Geh positiv mit Feedback um. Nehme Fehleranalysen ernst und setze sie in effektiveres Lernen um. In lambdazertifizierten Klassen kein Problem. Effectarium. Schule in der Schule.

Gruppenpuzzle 1,20 - Beim Gruppenpuzzle sind wir schon ganz nah bei meiner Lieblingsidee der SchüLehr:innenschule. Wenn Schüler:innen zu Expert:innen werden und sich gegenseitig von ihrer Expertise erzählen. Während die Lehrperson moderiert und am Ende knifflige Schlussfragen klärt. Wenn die Lambda-Ebene stimmt, ist SchüLehr:innenschule gar nicht so weit. Zumindest ist Gruppenpuzzle stressfrei für die Lehrperson durchführbar. Ohne einen hohen Lambda-Faktor in der Klasse bedeutet Gruppenpuzzle eine große Anstrengung für den Dompteur.

Kognitive Aufgabenanalyse 1,09 - Man kann es zusammen mit einer guten Fehleranalyse in Lambda-Klassen durchführen, wenn klar ist, um was es geht. Was das gemeinsame Langzeitziel ist. Wenn durch regelmäßiges Feedback die Transparenz für alle vorhanden ist und auch das Wissen über die Effektivität vom Überblick über Lernprozesse in der Klasse, dann kann man Aufgabenstellungen und Ergebnisse von Klassenarbeiten sehr gut untersuchen und die weiteren Lernprozesse damit optimieren. Ein klassisch agiles Vorgehen.

Micro-Teaching  1,01 - Definition nach Hattie - Methode in der Aus- und Weiterbildung von (angehenden) Lehrpersonen. Die Übungsanlage ist wie folgt: Die Person in Rolle der "Lehrenden" führt (oft in einem Laborumfeld) für eine kleine Gruppe von "Lernenden" eine (Mini-) Lektion zu einem bestimmten Aspekt ihres Lehrverhaltens durch. Diese Lektion wird nachfolgend besprochen, und zwar mit Peers, externen Coaches oder mit Lernenden. Häufig geschieht dies auf Basis einer Videoaufzeichung der Lektion. 

Also die Idee der intensiven Reflexion der Lehrperson - oft in der Ausbildungsphase. In einer Lambda-Klasse mit einem Eierkarton mit 10 Löchern an der Klassentüre kann Microteaching täglich nebenher laufen. Als Lehrperson kann man sich regelmäßig Fragen zu allen möglichen Unterrichtsbereichen direkt von seinen Kunden beantworten lassen - und dabei gleichzeitig noch die Lambda-Ebene stärken. 

Also Formative Evaluation als Spezial-Micro-Teaching mit hoher Effektstärke. Geht nur in einer Lambda-Klasse, in der die Lehrperson keine Bedenken hat, sich regelmäßig „beurteilen“ zu lassen. Da Lambda-Klassen sich als Team begreifen sollten, sind diese Top Ten kein höherer Zeitaufwand - und damit entspannt sich für alle die Lernumgebung und wird zum Effectarium. 

Na ja, keine Sorge, ich weiß, dass die Realität auch bei mir nie so ausgesehen hat wie ich mir das gerne zu Hause im Sessel vorgestellt habe. Aber wenn man immer nur wenig erwartet, dann bekommt man meistens viel mehr als man erwartet. 🥳 Und das tut sehr gut.

 

Ich hatte mein halbes Lehrerleben Zeit, mich in diese Lambda-Denkweise einzufinden - heute kommt man als Lehrperson an die Schule und findet einen Bildungsplan vor, in dem all solche Dinge als Zielvorgabe stehen, nur weiß keiner, wie man das umsetzen soll. Nein klar, da steht  natürlich nichts von Lambda-Ebene. Aber beschrieben wird da eine wunderbare Welt des individuellen Lernens und der Förderung auf Augenhöhe. Man sollte Eierkarton mit 10 Löchern und Lambda-Ebene dazu schreiben. 😎 Scherz.


Als ich anfing, war ich ein an der Hochschule ausgebildeter Physiker, der jetzt Gymnasiast:innen zu unterrichten hatte. In den Klassen saßen oft noch 35 Schüler:innen und es ging einfach um  Stoffvermittlung. Wer am Ende durchs Raster fiel, ging dann auf die Realschule. Und wer dort durchs Raster fiel, ging dann eben auf die Hauptschule. Heute wird Referendar:innen schon früh klar gemacht, welche Herausforderungen auf sie warten, weil sich Schule in den letzten 40 Jahren schon heftig verändert hat, was den pädagogischen Anspruch an Lehrer:innen betrifft. Wie man aber mit diesem allgemeinen Anspruch umgehen soll, um ihm gerecht zu werden, das wird nur theoretisch vermittelt. 

Und wenn man dann eigenständig vor seinen Klassen steht, hat man keinen Coach mehr, der einem zeigt, wie man mit der eigenen Art zu unterrichten, dem Anspruch und den aktuellen Schüler:innen am besten klarkommt. Klar, man hat Kolleg:innen, mit denen man darüber diskutiert, aber der eigene Anspruch will einen meist viel weiter bringen - auch wenn ein Kollege sagt: „Geht mir auch so, mach dir keinen Kopf.“


Deshalb mein Tipp für anspruchsvolle Köpfe in jahrhundertealten Gemäuern: Setz auf deine Schüler:innen. Jede Stunde. Denn genau um sie geht es ja. Um sie und um dich. Deshalb Eierkarton mit Löchern. Oder dann später auch Eierkarton plus Lernheft.


Aber dazu erst im nächsten Kapitel.