Gehst du noch zur Schule oder lernst du schon?

Haben Sie Lust auf einen kleinen Ausflug? Wir reisen mit unserem kleinen Gedankenraumschiff einen doppelten Espresso lang mit fast Lichtgeschwindigkeit ins All und trinken dann auf dem Rückflug das mitbestellte Glas Wasser leer, bevor wir wieder auf der Erde landen. Unsere Schiffsautomatik haben wir so eingestellt, dass wir im Jahre 2222 wieder landen. In 198 Jahren wird sich die Welt ziemlich verändert haben. Vor 198 Jahren - im Jahre 1826 - entdeckte im Januar der Mathe- und Physiklehrer Georg Simon Ohm den Zusammenhang zwischen elektrischer Stromstärke und der elektrischen Spannung. Also Sie merken, ich stimme Sie schon ein wenig auf diesen zeitlichen Unterschied ein.

Nun stellen Sie sich einmal vor, Sie würden eine Schule in 200 Jahren besuchen. Was würden Sie sehen? Lehrer:innen, die in einzelnen Klassenzimmern alleine vor einer Klasse mit 30 Schüler:innen stehen, die sich das Ohm‘sche Gesetz erklären lassen? U gleich R mal I? Wissen Sie noch? Erinnern Sie sich an diese Physik-Aufgaben, die klären sollten, ob sie physikalisch begabt sind?

Zurück ins Jahr 2222. Am 2. Februar wird es auf alle Fälle weltweit sehr viele Hochzeiten geben.

Und Schule? Heißt sie überhaupt noch Schule? Vielleicht heißt sie ja Lerne, weil man bis dahin irgendwann festgestellt hat, dass die Grundpädagogik aus der Zeit von Georg Ohm wohl doch nicht mehr so wirklich zeitgemäß ist. Ohm wechselte übrigens 1826 vom Dreikönigsgymnasium in Köln auf die Kriegsschule in Berlin. Damals war der Begriff Schule zeitgemäß. Der Schulmeister schulte die Schüler. Manchmal auch es schon ein wenig Schülerinnen. Das erste Mädchengymnasium gab es aber erst 1893 in Karlsruhe. Na ja, Sie merken, 2222 ist schon eine echte Zeitreise. 200 Jahre zuvor haben Sie schon wild über ChatGPT, intelligente Roboter und die KI diskutiert und was das mit unseren Schüler:innen machen würde.

Also klar ist, bis in 200 Jahren müssen wir für die sich im Moment noch scheinbar unaufhaltsam entwickelnden immer heftiger werdende Klimakatastophe echte Lösungen gefunden haben. Gefunden von Menschen, die im Moment noch beschult werden oder noch gar nicht auf der Welt sind und noch nicht wie in 200 Jahren selbstbewusst zum aktiven Lernen in einem Wer-weiß-schon-wie-Gebäude gut begleitet stark werden dürfen. Eine positive Zukunft braucht Menschen, die zu ihrer optimalen Stärke finden können. Die aktuelle Schullandschaft setzt noch viel zu sehr auf das beschränkendes Beschulen anstatt auf ein gut begleitetes selbstständiges Lernen.

Bis 2222 wird sich das komplett ändern müssen. 2222 geht man in die Lerne. Garantiert.

Aber: Wie wäre es denn schon mit JETZT.

Ist doch verrückt oder? Dass sich Unterricht allgemein noch nicht wirklich verändert hat. Ja gut, vielleicht ist es bei Ihnen wirklich anders. Vielleicht spielen bei Ihnen tatsächlich die Schüler:innen eine eigenständige Rolle beim Lernen. Aber wenn dem so ist, dann wissen Sie, dass Sie die Ausnahme sind. Oder Sie unterrichten an einer agilen Laborschule.

Alle anderen Insider wissen es aus der täglichen Erfahrung: Die Schüler:innen könnten so viel mehr und viel entspannter erreichen, wenn sie wollten und man sie ließe. Wir haben uns nur seit Ohm und schon vorher darauf eingerichtet, dass es eben so sein muss, dass Jugendliche sowieso unwillig lernen, also muss man eben einen gehörigen Anteil seiner Unterrichtszeit darauf verwenden, seine Zöglinge immer wieder auf die Spur zu bringen. Nervig, anstrengend, aber ist eben so. 2222 wird es nicht mehr so sein, das behaupte ich. An einzelnen Schulen , die schon beinahe einmal an die Wand gefahren sind, weil einfach nichts mehr ging und die mit einem mutigen Schuldirektor und einem Kollegium, das nicht aufgeben wollte, gänzlich neue Wege ging, kann man sich die Schule aus dem Jahre 2222 schon heute ansehen. Von der Schule zur Lerne.

 

Not scheint ein guter Berater zu sein. Ich finde, so wie ich als alter Schulmeister heute das Leiden vieler junger Schulmeister :innen erlebe, müsste die Not aber eigentlich schon ausreichen, um aus der Schule eine Lerne machen zu wollen. Als schon längere Zeit pensionierter Gymnasialschulmeister - ich feiere in diesem Jahr meinen siebten Quersumme-10 Geburtstag … stimmt, ich war Mathe-Physiklehrer - da darf ich ja mal was Futuristisches als Gedankenspiel zusammenspinnen, finden Sie nicht?

 

Falls Sie weiter mit mir in die Zukunft reisen wollen, dann lesen Sie weiter. Wenn es ihnen zu abenteuerlich wird, schütteln Sie einfach den Kopf und klappen den Laptop zu. 

 Also ich schlage Folgendes vor.

Wir beginnen nicht an einem Gymnasium. Denn das Gymnasium ist am allerschwierigsten mit den wirksamen Fünf zu beschreiben. Mit denen bin ich derzeit immer unterwegs, um zu testen, wo die Zukunft am Sprießen ist. Ja ich denke, im Jahre 2222 sind die wirksamen Fünf dann schulisches Allgemeingut.

Im Gymnasium sind es zur Zeit eigentlich nur die wirksamen Zwei. Goaly und Framy. Goaly, das ist ziemlich klar: Hauptsache am Ende das Abi, alles andere spielt erst einmal keine Rolle. Flexi hat wenig Chancen, alles ist durchgetaktet und durchgeplant. Teamy kennt man nicht. Nein, nein. Teamy hat nichts mit „aber wir machen doch auch Gruppenarbeit“ zu tun. Teamy ist Haltungssache. Und Feedy ist am altehrwürdigen Gymnasium auf die Noten reduziert. „Aber wir machen auch Verbalbeurteilungen“ höre ich da jemand rufen? Ja träumen Sie weiter. Das hat doch mit wirksamem Feedback nichts zu tun.

Also ich schlage zu Beginn der Gedankenreise eine Gemeinschaftsschule in Not vor. Eine, der die Lehrpersonen ausgehen. Weil die Pensionierungswelle zuschlägt und eine Einstellungswelle nirgends zu sehen ist. Dort sehe ich im Moment die größte Chance, 2222 zu beginnen.

Sie befinden sich auf einer futuristischen Gedankenreise ins Jahr 2222. Also stellen Sie bitte das Kopfschütteln ein und schauen Sie sich meine Vorschläge entspannt immer durch 5 verschiedene Brillen an. Das hilft beim Verstehen.

Eine Schule im Jahre 2222 wird eine ausgeglichene Goaly-Flexi-Teamy-Feedy-Framy-Balance besitzen. So würde man das vielleicht heute sagen. Ich schlage vor, wir belassen in unserer Gedankenreise einmal den Framy, wie er heute aktuell ist.

Dann funktioniert die Reise auch im bestehenden Schulsystem. Aber dafür ändern wir Teamy geschmeidig und radikal mit Flexi durch heftigen Einsatz von Feedy. Goaly bleibt wie gewohnt, nur kommen neben den verschiedenen Schul-Abschlüssen Kompetenzentwicklungen außerhalb des Lehrplans und die Stärkung des Selbstbewusstseins dazu. Und och einiges mehr.

 

Sie verstehen nichts? Die wirksamen Fünf? Lesen Sie einmal auf unserem HfaB-Blog ein wenig darüber. Oder lassen Sie es einfach so stehen. Sie werden nebenbei begreifen, dass die wirksamen Fünf ganz praktische Gesell:innen sind, die man 2222 gerne als Assistenz immer wieder zu Rate zieht.

 

Wir ziehen also in unserer Zukunftsreise nur vier Brillen nacheinander auf, nachdem wir beschlossen haben, eine 2222-Gemeinschafts-Lerne zu entwickeln, die 3 bisherige Ziele besitzt: Goaly A Hauptschulabschluss mit Lehrstellenanschluss. Goaly B Realschulabschluss mit Lehrstellenanschluss oder Anschluss an ein fachliches Gymnasium. Goaly C Abitur. Wenn keine Oberstufe existiert, einfach nur A und B. Goaly wird aber durch die Veränderungen von den 4 anderen Wirksamen auch positiv verändert.

Framy ist der vorgegebene Schulrahmen, die Vorschriften und die üblichen Prüfungen und Zeugnisse.

Wenn man nun Flexi, Teamy und Feedy von der Leine lässt, wird man natürlich schnell erkennen, dass man zusätzlich komplett neue Zeugnisse entwickeln muss … Feedy wird das fordern, weil Feedy und Flexi zusammen eine Vielzahl mehr Fähigkeiten bei Ihren Schüler:innen entdecken werden, die es zu dokumentieren gilt. Aber auch Sie selbst werden es fordern, sind sie doch Teil von Teamy, nehmen also eine vollkommen neue Rolle ein.

Ich entwerfe Ihnen auf unserer Zukunftsreise ins Jahr 2222 natürlich keinen Plan. Der zusätzliche Framy in den alten Gemäuern muss sich erst entwickeln, sollten Sie an der Grundidee in der Realität ansetzen wollen. Auch die zusätzliche Goaly wird vollautomatisch auftauchen, weil sich in einer "Lerne" herausstellen wird, dass Goaly A, Goaly B oder Goaly C ja nicht die komplexen Fähigkeiten in Sachen - nennen wir es  - Lebenskunst eines Lernenden abbilden können. Goaly wird zu einer sich stetig verändernde Lebenskunst-Assistentin.

 

Konkret:

Die übliche aktuelle Notlage: Zu wenig Personal. Die übliche Reaktion: Fach-Quereinsteiger:innen. Das Ergebnis: Gestresste Lehrpersonen, schlechtere Leistungen, unzufriedene Eltern. Positiv ist es nur für die Bildungsbehörde. Meldung: „Der Unterricht ist abgedeckt.“ Mit welcher Qualität spielt wohl keine so große Rolle mehr. "Pisa Studie mag uns ja sowieso nicht."

Hier die viel erfolgreichere Alternative: SchüLehr:innen&Sozial-Quereinsteiger:innen statt Fach-Quereinsteiger:innen.

Schütteln Sie nicht vorschnell den Kopf, bleiben Sie einfach gedanklich noch ein wenig im 2222-Modus.

Also.

Meine Behauptung: 6% eines Jahrgangs sind aus dem Stand heraus als hochaktive SchüLehr:innen einsetzbar. Mit dem persönlichen Umfeld werden es 20%. Weitere 30% lassen sich auf eigenverantwortliches Lernen ein, wenn man sie gut darauf vorbereitet und gut bei der Entwicklung begleitet. Aus dem Stand könnte man die Hälfte einer Klasse auf 2222 umstellen.

Möglichkeit 1:

Klasse 8: Ein Jahr intensiver Vorlauf mit der großen Brain-Travelling-Tour für alle. Klasse 9: Start-Verteilung 20-30-50. Klasse 10: Verteilung 30-40-30. Zielverteilung langfristig 40-50-10. Das kann erreicht werden, wenn man kontinuierlich in jedem Jahr die 2222-Schule (also -Lerne) bis zur 5. Klasse „herunterwachsen“ lässt.

Möglichkeit 2: Man startet in Klasse 5 mit einem Spezial-Starter-Jahr, um dann schon in Klasse 6 mit 40-50-10 zu arbeiten und das Konzept nach oben wachsen zu lassen.

Zur Erläuterung: 20-30-50:

20% der Schüler:innen arbeiten wie in einer SchüLehr:innenschule und bekommen dadurch eigene Arbeitszeiten, die die Hälfte des üblichen Plans ausmachen.

30% der Schüler:innen haben ein Drittel des üblichen Plans eigene Lernzeiten

50% der Schüler:innen sind Schüler:innen wie bisher.

Das Prinzip "spart" 20% Fachlehrer:innenstellen, die durch Begleiter:innenstellen ersetzt werden können. 2222 IST KEIN SPARPROGRAMM. 2222 ist ein Zukunftsmodell für selbstaktive Schule. Die angestrebte 40-50-10 Schule benötigt am Ende 1/3 weniger Fachpersonal, das durch Zukunftspersonal und Zukunftsausstattung ersetzt werden muss. Sonst kann 2222 nicht funktionieren. 1/3 der Personalkosten müssen von der Schule selbst autonom eingesetzt werden können, je nach Entwicklungsbedarf. Sonst kann 2222 nicht funktionieren.

Das entwicklungsorientierte Konzept 2222 ist somit nicht teurer als die aktuelle heruntergesparte Schule - aber eben wesentlich erfolgreicher. Warum also sollte man nicht schon jetzt einmal irgendwo im Lande damit experimentieren. Versuchen Sie den Einstieg doch klammheimlich, indem Sie die nachfolgenden Karten der wirksamen Fünf von der Hochschule für agile Bildung in Zürich nehmen (Umklappen, kleben, schneiden) und sich Ihren eigenen Unterricht einmal durch die 5 Brillen ansehen. Sie werden staunen. Ein ausführliches erstes „Gebrauchsanleitungsideenkonzept“ von Christof Arn lesen Sie in Kürze auf dem HfaB-Blog.

Ja ich weiß, Sie denken jetzt: Dieser alte Mann in seinem siebten Quersumme-10 Lebensjahr kann gut daherreden. Stimmt. Dieses Zukunftsspinnen, das gebe ich zu, mache ich riesig gerne und wenn Sie fragen, woher ich diese Gewissheit habe, dass 2222 nicht wirklich reine Spinnerei ist, dann verweise ich sie gerne auf meine Schulzeit zwischen 3. und 6. Quersumme-10 Geburtstag. Da habe ich diese aktiven Schüler:innen im außerunterrichtlichen Bereich erleben dürfen. Wir hatten angefangen, Zertifikate für Aktive zu vergeben. Es gab Jahre, da standen über 3/4 der Abiturient:innen auf der Abibühne und nahmen neben den Abschlusszeugnissen ihre Aktiven-Zertifikate entgegen. Ich weiß: Außerunterrichtlich ist nicht unterrichtlich. Die Idee unseres offiziellen dezentralen EXPO2000 Projekts Schülerschule ist für den Unterricht selbst ohne Kompletteinsatz einer ganzen Schule nicht umsetzbar. Aber: Die SchüLehr:innenschule 2222 wird kommen, muss kommen.

 

Und ich behaupte, sie wird irgendwann irgendwo aus der Not heraus geboren und dann kolossal erfolgreich sein.