Kapitel 19 - Entwicklungsorientierte Benotung

19 Entwicklungsorientierte Benotung

Ich glaube, dass die Bilder für sich sprechen. Menschen entwickeln sich unterschiedlich schnell. Das weiß man aus der Forschung und unterliegt auch keinem Zweifel. Was eigentlich überhaupt kein Problem ist, weil die Schnelligkeit der Entwicklung keine Aussage über die Qualität der Entwicklung aussagt. Bei der üblichen Benotung durch Klassenarbeiten zum selben Zeitpunkt entsteht aber schon ein Problem - und zwar ein ganz entscheidendes. Es vergleicht Leistungsstände, die man eigentlich nicht vergleichen kann. Und macht daraus Noten. Entwicklungsorientierte Noten würden die Entwicklung beschreiben und die „Steigung“ benoten. Am besten ohne den Vergleich zu anderen Schüler:innen, weil es auf den Vergleich überhaupt nicht ankommt. Zukunftsmusik, aber future. Wenn man Leistungsmessung rein über Entwicklung der eigenen Fähigkeiten umsetzen könnte, dann wäre der Weg zu einem Einbauen von Schüler:innen-Lehrpersonen aller Art viel leichter zu gehen. Ich behaupte natürlich nicht, dass dieser Weg leicht wäre. Aber er ist gehbar und würde gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Denn „Chattie, was sagt Hattie zu reziprokem Lehren?“ - „Die Hattie-Studie (Visible Learning) belegt, dass Reziprokes Lehren eine wirksame Methode des Unterrichts ist. Es gehört zu den Top 10 der wirksamsten pädagogischen Methoden mit einer durchschnittlichen Effektstärke von 0,74. Reziprokes Lehren bezieht sich auf eine kooperative Lernmethode, bei der Schüler in kleinen Gruppen arbeiten und sich gegenseitig beim Lesen, Zuhören und Verstehen von Texten unterstützen. Die Methode fördert die Interaktion und den Austausch zwischen den Schülern und hilft ihnen, ihr Verständnis des Materials zu vertiefen.“

Ja bitteschön, warum sollte man diese Methode denn nicht zum Prinzip erheben. Denn reziprokes Lehren, also der Einsatz von Schüler:innen-Lehrpersonen, hilft ja auch den Lehrenden. „Oder Chattie?“- „Ja, Reziprokes Lehren bietet auch den Vorteil, dass Schülerinnen und Schüler lernen, wie sie anderen Schülern helfen können, indem sie ihnen das erklärte Wissen vermitteln. Dies stärkt ihre Fähigkeit, ihr eigenes Wissen zu organisieren, zu artikulieren und zu veranschaulichen, was ihr Verständnis vertieft und ihre sozialen und kommunikativen Fähigkeiten verbessert. Darüber hinaus kann das Erklären von Konzepten anderen Schülern dazu beitragen, das Vertrauen und die Selbstwirksamkeit der Schülerinnen und Schüler zu stärken, da sie sich als kompetent und nützlich empfinden, wenn sie anderen helfen.“

Vertrauen in sich selbst und Selbstwirksamkeit stärken, das ist es doch, was man benötigt, um die Zukunft zu meistern, egal wie sie aussehen wird. Und die Zukunft der Gesellschaft benötigt genau diese Leistungsträger:innen, die kommende Herausforderungen meistern können.

 

In Zukunft wird man - je weiter sich Chattie&Co entwickelt - sowieso lernen müssen, ganz andere Dinge zu bewerten als das Fach-Wissen … also eher den Arbeitsprozess selbst, die Zusammenarbeit im Team, den Umgang mit KI, die Entwicklungsfähigkeit neuer Ideen usw. Eine hochspannende Zeit liegt vor uns und alle Schulen, die vor den Entwicklungen nicht die Augen verschließen und sich früh aufmachen, werden große Vorteile haben.

 

Dieses Bild von dem Schweizer Kinderarzt Remo H. Largo, der zahlreiche Bücher zur Erziehung geschrieben hat, habe ich damals gerne eingesetzt. 

Um den Joker Entwicklungsalter zu erklären. Wenn man also sieht, dass beim Übergang auf die weiterführende Schule zwar lauter Elfjährige in einem Klassenzimmer sitzen, aus der Sicht des Entwicklungsalters aber mindestens 10- bis 12jährige. Deshalb: Noten sind nur Wegweiser. Wer sie als Maß von Intelligenz oder Klugheit nimmt, der begeht einen kolossalen Fehler.  
Das Bild zeigt auch, dass Jungs im Durchschnitt eigentlich ein Jahr später eingeschult werden müssten, um am Ende nicht oft den Kürzeren zu ziehen. Aber dafür ist die Zeit noch nicht reif. 😎